Ausblick auf das Leinetal von der Greener Burg
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Greener Burg – Turm der Zeit überm Leinetal

Auf leisen Pfaden durch das sanfte Leinetal ist zunächst nur das Rascheln von Gräsern zu hören, begleitet vom leichten Hauch vergangener Tage im Wind. Erinnerungen scheinen durch die Luft zu ziehen – unschuldig, flüchtig und doch stets gegenwärtig. Hoch oben, auf einer vorspringenden Bergnase, erhebt sich die alte Greener Burg. Ein einzelner Turm ragt in den Himmel, einsam und dennoch majestätisch, errichtet aus Mauerwerk, das von Jahrhunderten geprägter Geschichte durchdrungen ist. Eine klassische Spornburg – errichtet, zerstört, wiederaufgebaut, vergessen und erinnert. Eine Ruine, die mehr ist als verlassener Stein: ein Echo vergangener Epochen, ein stiller Zeuge von Macht, Streit und Wandel.

Eingangstor zur Greener Burg

Die Geschichte führt weit zurück in das Jahr 980. Damals wurde in einer königlichen Urkunde festgehalten, dass Kaiser Otto II. den Burgbann Greene dem mächtigen Reichsstift Gandersheim verlieh. Damit erhielt das Stift das Recht auf Schutz, Kontrolle und Gerichtsbarkeit – ein frühes Kapitel im Machtgefüge des Mittelalters. Etwa einen Kilometer südlich von Greene, auf dem sogenannten Knollenberg, stand damals eine Hüburg. Ausgrabungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts brachten Mauerreste, Keramikscherben, Tierknochen und sogar eine Glasperle ans Licht – stille Belege für das Leben einer fränkisch-ottonischen Befestigung. Die Hüburg war kein Ort des Prunks, sondern eine strategische Anlage, errichtet, um das Land zu überwachen und den Fluss Leine zu kontrollieren, der als Verkehrsader Händler, Pilger, Krieger und Nachrichten trug.

Im Laufe der Jahrhunderte prägten die Edelherren von Homburg die Region. Ihr Herrschaftsgebiet um Greene sicherte nicht nur Handelsrouten, sondern auch politische Einflussnahme. Um 1308 entstand auf der Bergnase oberhalb des Ortes die neue Greener Burg. Sie war ein sichtbares Zeichen der Macht, errichtet aus massiven Steinen, deren Transport und Bearbeitung viele Hände und viel Zeit verlangten. Der Bau folgte dem Prinzip mittelalterlicher Spornburgen: steil abfallende Hänge boten natürlichen Schutz, während ein tiefer Graben, Zugbrücke und Torwache den Zugang kontrollierten. Der 25 Meter hohe Bergfried, dessen Mauern an der Basis mehrere Meter dick waren, erhob sich über einer Anlage mit Vor- und Hauptburg, Wehrgängen und Fachwerkaufbauten. Ein hölzerner Oberbau krönte den Turm, der nicht als gemütlicher Wohnsitz, sondern als Symbol und Werkzeug der Herrschaft diente.

1360 trat Sigfried von Homburg in den Vordergrund. Belehnt von der Äbtissin von Gandersheim, bestätigte er die Homburger Herrschaft über Greene – ein Pakt, der die Verbindung von Adel, Kirche und regionaler Macht dokumentierte. Doch der Lauf der Geschichte ließ auch hier keine Beständigkeit zu. 1409 starb der letzte männliche Vertreter des Homburger Geschlechts. Seine Witwe, Schonette von Nassau, erhielt Greene als Leibzucht. Durch ihre zweite Ehe mit Herzog Otto dem Jüngeren wurde die Burg Teil größerer politischer Spiele, die bald in einem Rechtsstreit zwischen dem Kloster Gandersheim und den welfischen Herzögen mündeten. 1414 ging die Burg für 12 000 Gulden an den Bischof von Hildesheim über – ein hoher Betrag, der den strategischen und symbolischen Wert des Bauwerks unterstrich.

Ausblick auf das Leinetal von der Greener Burg

In den folgenden Jahrzehnten wechselte die Burg mehrfach den Besitzer. Pfandschaften, Rückkäufe und wechselnde Lehnsnehmer prägten diese Phase, bis Herzog Wilhelm sie 1499 endgültig wieder in welfischen Besitz brachte. Greene wurde Amtssitz des Herzogtums Braunschweig-Wolfenbüttel. Von hier aus wurden Gerichtsverfahren geführt, Abgaben eingezogen und das Umland verwaltet. Die Burg war damit Verwaltungszentrum und Machtsymbol zugleich.

Doch das 16. Jahrhundert brachte Unheil. 1553, während des Zweiten Markgrafenkriegs, führte Graf Vollrad von Mansfeld ein Söldnerheer in die Region, plünderte und zerstörte die Burg. Herzog Heinrich ließ sie jedoch bald wieder aufbauen. Diese Wiedererrichtung war weniger ein romantischer Akt, sondern eine strategische Notwendigkeit – eine Demonstration, dass Herrschaftsstrukturen sich nicht so leicht auslöschen ließen.

Der Dreißigjährige Krieg im 17. Jahrhundert brachte erneut schwere Schäden. Kaiserliche Truppen besetzten die Burg, wechselnde Herrschaften folgten. Trotz aller Zerstörung blieb sie bis zum Ende des Jahrhunderts Amtssitz. Doch 1694 erklärte ein herzoglicher Erlass das alte Gemäuer für nicht mehr tragbar. 1704 zog die Verwaltung in ein neu errichtetes Amtshaus im Ort Greene. Die Burg verlor ihre Funktion, verfiel und wurde zur Steinquelle – für Häuser, Stallungen und Wirtschaftsgebäude des wachsenden Ortes. Bis 1757 standen nur noch der Turm und wenige Mauerreste.

Die Mauerreste der Greener Burg

Über Jahrzehnte blieb der Turm ein stilles Monument über dem Dorf – ein Bild aus Nebel, Vogelrufen und dem Flüstern des Windes. 1880 erfolgte der erste Rettungsversuch. Die Ruinen wurden gesichert, die Mauern gestützt. Es war der Beginn einer neuen Phase, in der der Turm nicht nur als Relikt, sondern als Denkmal begriffen wurde.

1952 erhielt der Bergfried eine innenliegende Treppe bis zur Spitze. Ein Jahr später wurde er zum „Ehrenturm der deutschen Kriegsgefangenen“ erklärt. Millionen Unterschriften für die Freilassung deutscher Gefangener aus der Sowjetunion wurden hier gesammelt, Wandschreine im Inneren bewahrten Erinnerungsstücke, außen war ein großes Kreuz angebracht. Zwischen 1953 und 1961 war der Turm damit nicht nur Aussichtspunkt, sondern auch Mahnmal, Hoffnungsträger und Ort stiller Andacht.

1961 wurde die Bundesweihestätte nach Goslar verlegt, da der Turm baufällig geworden war. Dennoch blieb er ein Gedenkort. In den 1980er- und 1990er-Jahren folgten Restaurierungen von Turm und Außenmauern. Die jüngste Sanierung im Jahr 2024 umfasste das gesamte Mauerwerk, Dach und Innenstruktur – getragen vom Engagement des örtlichen Fördervereins und der Denkmalpflege.

Der Turm der Greener Burg in seiner vollen Pracht

Heute ragt der Turm auf 181 Metern über dem Tal und bietet einen Blick, der weit über die Landschaft hinaus in die Geschichte reicht. Unter den Füßen liegt das Mauerwerk, das Jahrhunderte getragen hat; vor den Augen breitet sich das Leinetal aus, in dem schon Händler, Ritter, Bauern und Pilger unterwegs waren. Die Burg ist kein Museum im üblichen Sinn. Sie ist ein lebendiger Ort, an dem Geschichte nicht nur erzählt, sondern empfunden werden kann. Im Licht der untergehenden Sonne legen sich lange Schatten über die Mauern – als würde die Zeit selbst über das Tal hinwegstreichen und die Geschichten in den Steinen neu erwecken.

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